White Paper

Strategische Positionierung

Aus- und Aufbau von Wettbewerbsvorteilen

Die Differenzierung und Positionierung der Kanzleien haben in den letzten Jahren zunehmend eine strategische Bedeutung erhalten. Die Mandanten verfügen über mehr Kenntnisse und Transparenz bei der Selektion ihrer Kanzlei und vergleichen die Alleinstellungsmerkmale. Viele Kanzleien haben ihr Marketing um ein Business Development verstärkt, um sich auf bestimmte Mandanten zu fokussieren und um sich beispielsweise je nach Branche vom Wettbewerb zu differenzieren. Aber auch ohne diese unterstützenden Abteilungen benötigt jede Anwaltskanzlei eine langfristige Positionierungsstrategie, um zukünftig im Markt bestehen zu können und Wachstum zu generieren.

  • Wie soll sich unsere Kanzlei in den nächsten fünf Jahren entwickeln?
  • In welchen Bereichen soll Wachstum erzielt werden?
  • Welche Maßnahmen müssen zur Erreichung der Ziele ergriffen werden?

Es reicht nicht aus, wenn die Partner einer Kanzlei sich für das folgende Geschäftsjahr lediglich einige Aktivitäten vornehmen oder persönliche Ziele stecken. Für die Erstellung einer Kanzleistrategie ist es wichtig, zunächst eine analytische Bestandsaufnahme der Kanzlei, ihrer Erfolge und Defizite vorzunehmen. Dieses Performance Assessment der Kanzlei, von Standorten und Praxisgruppen sollte unvoreingenommen geschehen und nach einem systematischen Ansatz erfolgen. Die Ergebnisse werden im Partnerkreis diskutiert, um daraus neue Ideen oder notwendige Veränderungen abzuleiten. Im Vergleich zu Wettbewerbern ergeben sich Stärken und Chancen, die gezielt beim Marktangang berücksichtigt werden sollten.

Schoen + Company beschreibt zentrale Themen des professionellen Kanzleimanagements in einer Serie von vier White Papers. Dabei werden zahlreiche praktische Fallbeispiele aus der Beratungstätigkeit sowie die dazugehörigen theoretischen Ansätze vorgestellt.

Teil 1: Strategische Positionierung; Teil 2: Mandantenentwicklung; Teil 3: Marketingeffizienz; Teil 4: Organisatorische Effektivität

Um langfristig profitabel zu wachsen, müssen Kanzleien klare Strategien definieren und umsetzen.

Schritt 1: Status Quo-Analyse und Strategieentwicklung

Langfristige Umsatzsteigerung und Profitabilität lassen sich nur durch eine nachhaltige Strategie erreichen. Zur Strategiefindung eignen sich spezielle Analysen, um systematisch mögliche Strategieoptionen zu beleuchten.
Diese Analysen sollten auf Kennzahlen der Anwaltskanzlei und des Anwaltsmarktes als Benchmark gestützt sein. Eine praxiserprobte Analyse ist die Portfolioanalyse (nach BCG), in der die einzelnen Rechtsgebiete oder Industry Groups in einer dreidimensionalen Matrix dargestellt werden. Die erste Dimension berücksichtigt die relative Marktstärke zum Wettbewerb, die zweite das Marktwachstum und die dritte Dimension den Umsatz, dargestellt durch die Größe der Kreise. Als „Cash Cows“ bezeichnet man Rechtsgebiete einer Kanzlei, in denen die Kanzlei im Vergleich zum Wettbewerb relativ stark ist, die aber nur geringes oder gar kein Wachstum mehr verzeichnen. Diese Rechtsgebiete gilt es abzuschöpfen, da sie die höchste Profitabilität bringen. „Stars“ sind Rechtsgebiete, die ein hohes Marktwachstum aufweisen und in denen die Kanzlei eine hervorragende Stellung hat. Die „Fragezeichen“ sind Rechtsgebiete, die überdurchschnittlich schnell wachsen und in denen die Kanzlei aber noch schwach vertreten ist. „Poor Dogs“ haben eine schwache Stellung zum Wettbewerb in schrumpfenden oder stagnierenden Märkten. Sie sind meist unprofitabel oder haben eine geringe Bedeutung innerhalb der Kanzlei.

Fallbeispiel

Eine mittelständische, regionale Kanzlei mit drei Standorten bietet Leistungen in sechs Rechtsgebieten, deren Umsätze unterschiedlich groß sind. Jedes Rechtsgebiet wird entsprechend seiner Größe, seines Marktwachstums und seiner relativen Marktstärke in das Portfolio eingetragen. Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten: In den Rechtsgebieten 1 und 4 (siehe Grafik oben) muss die Position gegenüber dem Wettbewerb verteidigt werden, da sie attraktive Wachstumsfelder auch für andere Kanzleien darstellen. Dies kann z. B. über Investitionen in Marketingmaßnahmen für Bestandsmandanten erfolgen oder durch personelle Verstärkung dieser Rechtsgebiete. Die Wettbewerbsfähigkeit der Rechtsgebiete 3 und 5 muss hingegen verbessert werden. Hier könnte ein Preis-Leistungs-Vergleich mit Wettbewerbern oder gezielte Awarenessmaßnahmen hilfreich sein. In Rechtsgebiet 2 sollte bloß moderat investiert werden, da das Marktwachstum nur durchschnittlich ist. Bei dem Rechtsgebiet 6 stellt sich die Frage, ob es abgestoßen werden sollte oder zwecks Mandantenbindung oder zur Einstiegsberatung erhalten werden muss. Falls es beibehalten wird, sind zumindest Effizienzsteigerungen notwendig, um die Profitabilität zu erhöhen.

Das Fallbeispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich die Strategien für die einzelnen Rechtsgebiete sein können und wie überaus wichtig es ist, Strategieoptionen auf Analysen und Kennzahlen zu stützen. Ist eine Entscheidung für eine bestimmte Strategie gefallen, gilt es aus der Strategie Handlungsempfehlungen abzuleiten, so dass die Strategie in der Kanzlei verankert wird und jeder zu der Erreichung beitragen kann.

Wichtig: Die langfristigen Ziele der Kanzlei (Schritt 3) dürfen durch die Strategien unterschiedlicher Einheiten nicht konterkariert werden. Hier ist eine Abstimmung erforderlich.

Schritt 2: Wettbewerbsanalyse

Viele Kanzleien kennen ihre vermeintlichen Wettbewerber namentlich, jedoch fehlt es an konkreten Vergleichsmöglichkeiten. Um die Position im Wettbewerb zu verbessern, sollten deshalb die Stärken und Schwächen der Kanzlei differenziert bestimmt werden. Hierfür eignet sich die kompetitive Wettbewerbsanalyse, mit der bestimmte Merkmale der Kanzlei in Relation zum stärksten (oder direkten) Wettbewerber analysiert werden. Innerhalb von Bewertungskategorien sollten mehrere konkrete Merkmale abgefragt werden. So kann sich z. B. die Kategorie Marketing aus den Merkmalen Quantität der Marketingmaßnahmen (Anzeigen, Newsletter etc.), Fokussierung auf Zielgruppen (Veröffentlichungen, Veranstaltungen etc.), Marketingbudget und Anzahl Marketingmitarbeiter zusammensetzen.

Fallbeispiel

Die Wettbewerbsanalyse einer Kanzlei ergab Defizite in mehreren Bereichen. Ihre wesentliche Stärke liegt im Personalbereich. Sie zeichnet sich positiv beim Merkmal Personalfluktuation und Integration neuer Partner aus. In allen anderen Bereichen weist sie deutliche Schwächen zum Wettbewerb auf. Die Schwäche im Bereich Umsatzentwicklung will die Kanzlei durch Konzentration auf umsatzstarke Mandantensegmente und Einführung eines Cross-Selling-Systems zwischen den Praxisgruppen abbauen.

Schritt 3: Langfristige Kanzleiziele

Sind die strategischen Ziele der Kanzlei auf Wachstum ausgerichtet, muss entschieden werden, wie das Wachstum erreicht werden soll. Aus den zahlreichen Ansätzen zur Umsatzsteigerung müssen die geeigneten ausgewählt werden.
Das Wachstum könnte durch Akquise neuer Mandanten oder Ausbau der Stammmandanten, durch geografische Expansion (national oder international) auf entfernter liegende Unternehmen oder mit neuen Standorten erreicht werden. Hierbei muss der zeitaufwendige Eigenaufbau mit dem Zukauf von Teams verglichen werden. Möglich wäre es auch, das Pricing-System zu optimieren, um höhere, an die Mandantensituation angepasste Stundensätze durchzusetzen.

Zentral bleibt allerdings die Frage, welche Mandantensegmente zukünftig gezielt bedient werden sollen und wie die vorhandene Mandantenstruktur ausgebaut werden soll.

Fallbeispiel

Die langfristige Planung dieser Kanzlei zielt auf ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 15 % jährlich. Dieses Ziel soll in erster Linie durch stärkere Bindung der Stammmandanten (5 % des Wachstums) mit Cross-Selling und durch die Gewinnung von Neumandanten (10 % des Wachstums) erreicht werden. Dies bedeutet für Neumandanten einen fünffach höheren Aufwand, bei den Stammmandanten eine Verdoppelung. Für beide Ansätze wurden detaillierte Maßnahmenpakete geschnürt.

Schritt 4: Performance Assessment

Ein wichtiges Instrument zur einheitlichen Betrachtung der Leistung einer Kanzlei ist das Performance Assessment. Hierfür werden Leistungskennzahlen in verschiedenen Standorten und Praxisgruppen sowie zwischen Partnern verglichen. Typische Kennzahlen sind hier die Durchdringung von Zielsegmenten, Umsatzanteile, Stundensätze, Profitabilität und Marketingeffizienz. Diese Kennzahlen können dann als Benchmarks für eine langfristige Kontrolle von strategischen Zielen oder für kurzfristige Maßnahmen zur Eliminierung der identifizierten Schwachstellen verwendet werden.

Fallbeispiel

Eine deutsche Großkanzlei hat drei Standorte in Deutschland und führt jährlich ein Standortbenchmarking durch. Neben der Analyse der Zielgruppen und deren Durchdringung werden auch die Kennzahlen aus der Gewinn- und Verlustrechnung verglichen und die Stunden analysiert: Frankfurt hat eine gute Chargeable-Quote und erwirtschaftet mit entsprechendem Personalaufwand und betrieblichen Aufwänden einen Profit von 50 %. München hat mit höheren Personalkosten und Mieten eine höhere Kostenquote, aber auch eine bessere Chargeability. Der neue Standort Berlin hat Startschwierigkeiten und braucht Hilfe.

Checkliste – Zehn Fragen zur strategischen Positionierung Ihrer Kanzlei:

  1. Haben Sie Ihre Kanzleistrategie schriftlich formuliert?
  2. Kennen und leben alle Partner und Mitarbeiter die strategischen Kernpunkte?
  3. Kennen Sie die Cash Cows, Stars, Fragezeichen und Poor Dogs Ihrer Kanzlei?
  4. Haben Sie quantitative Ziele für die nächsten 3 bis 5 Jahre festgelegt?
  5. Führen Sie regelmäßige Strategie-Reviews durch?
  6. Stützen Sie Ihre strategischen Entscheidungen auf Zahlen?
  7. Stehen Ihre Kanzleimaßnahmen im Einklang mit der Strategie?
  8. Wissen Sie, wie Ihre Kanzlei im Wettbewerbsvergleich steht?
  9. Kennen Sie die Stärken und Schwächen Ihrer Kanzlei?
  10. Führen Sie jährliche Performance Assessments durch?
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